Wir schreiben das Jahr 2015. Eine Retrowelle jagt die andere. Synth-Pop ist größer als je zuvor und weltweit beziehen sich aktuelle Produktionen auf den Sound der Vorwende-Ära in Deutschland. Was machen die Originale, die Bands und Künstler jener Zeit, heute? Viele schlagen sich als Grüßaugust auf Lokalsender-Achtzigerpartys rum, andere investieren die Tantiemen von damals in den Anbau von Biogemüse.

Nicht so Camouflage. Ja, richtig: D i e Camouflage. Die Meister der Traurigkeit im Kleid des elektronischen Songs. Die Band, die 1987 mit „The Great Commandment“ von Bietigheim-Bissingen direkt in die USA schwappte, mit einer Musik, die genialisch die Kühle von Kraftwerk, den Pop von OMD und die melancholische Düsternis von Depeche Mode miteinander verband. Das Interesse, sich der Nostalgie hinzugeben, ist bei dieser Band seit jeher nur schwach entwickelt. Und so bringen Camouflage dieser Tage mit „Greyscale“ ein frappierend heutiges, musikalisch und textlich zwingendes Album heraus. Flashback: Heiko Maile, Oliver Kreyssig und Marcus Meyn waren Schüler mit Synthesizern und einem feinen Gehör für die Zeichen der Zeit. Es war eine Welt, geprägt von Ängsten und Drohszenarien, Nichtangriffspakten und Embargos, regiert von alten Männern und einer Frau. Der kalte Krieg war fast um, die Berliner Mauer stand noch. In diese Landschaft warfen Camouflage ihre Musik, treibend, fordernd und so traurig-schön, dass man endlos versunken dazu tanzen wollte. Mit ihrem Erstlingswerk „Voices & Images“ verbuchte die Band Erfolge links und rechts des Atlantiks. In den USA belegten sie gar Platz Eins der Billboard Dance Charts. Mit dem Nachfolger „Methods of Silence” konnten sie nahtlos daran anknüpfen und schufen mit der Single „Love Is A Shield“ ein Juwel von einem Hit, der noch heute weltweit die Dancefloors und Radiostationen rührt.

Seitdem ist viel passiert auf unserem Planeten und die Band hat einen langen Weg zurückgelegt, der alles andere als schnurgerade verlief. In den Neunzigern spielte man mit Stilen und Produzenten, suchte das Experiment. „Areu Areu“, ein Verlag für Abseitiges, wurde gegründet, sogar ein Opernprojekt wurde grandios gegen die Wand gefahren, alles in allem für Camouflage in gleichen Teilen künstlerisch wichtige wie finanziell desaströse Prozesse. Die Plattenfirmen setzten derweil auf andere Pferde, die den Trends schneller hinterherlaufen konnten. Auch das ist Showbusiness, dachte sich die Band, wischte sich über die Schulter, nahm unbeirrt weiter Platten auf, betourte die Welt von Russland bis Mexiko und erweiterte stetig ihren Fankreis.

2003 brachten Camouflage „Sensor“ heraus, ein düsteres, druckvolles Werk, das zeigte, dass sie die Zeitenwende nicht verschlafen hatten, sondern vielmehr mit ihrem Sound und ihren Songs auch im neuen Jahrtausend Relevanz beweisen konnten. 2006 folgte das Album „Relocated“, daran anschließend tourte die Band unter anderem durch Asien und Südamerika. 

2011 begann man mit der Arbeit an einem Album, das schon am Anfang des Entstehungsprozesses den Namen „Greyscale“ bekam, vielleicht weil Heiko Maile, Oliver Kreyssig und Marcus Meyn früh wussten, dass sie mit der Musik dieser Platte unserer Zeit, mit ihren Wolken und Nebelschwaden, endlos sich repetierenden Graustufen, etwas entgegensetzen wollten. Da ihnen das mehr als gelungen ist, können sie nun nach langer Tage Arbeit ihr achtes Studio-album voller Stolz unter die Leute geben. Die Musik auf „Greyscale“ klingt weit und atmosphärisch und gleichzeitig zwingend und dicht. 

Verantwortlich für diese Produktion zeichnet einmal mehr Heiko Maile, der seit einigen Jahren auch als Filmmusik-Komponist (u.a. für „Die Welle“ und „Wir sind die Nacht“) Erfolge feiert. Stilsicher kontrastiert er elektronische Elemente, Gitarren, Klangexperimente und Beats mit akustischen, wie dem Streicherensemble des Deutschen Filmorchesters Babelsberg. Große Unterstützung für Musikalität und Klang fand die Band aber auch in der erneuten Zusammenarbeit mit zwei Ihrer wichtigsten Wegbegleiter: Volker Hinkel (Gitarren, Produktion) und Jochen Schmalbach (Produktion, Abmischung), die seit vielen Jahren fester Bestandteil der Live-Besetzung und allen anderen Aktivitäten von Camouflage sind. 

Bei „End Of Words“ vernimmt man gar einen Kinderchor, der klingt, als hätte ihn Kubrick persönlich in die Szene platziert. Großes Kino eben. Die Platte klingt modern und dennoch behalten Camouflage stets die Verbindung zu dem ihnen ureigenen Sound, mit dem sie berühmt wurden. Die Beats und Bässe, Synth-Arpeggi und -Flächen sind ihr unverkennbarer Fingerabdruck, nicht weniger als die berührend schwelgende Stimme von Sänger Marcus Meyn.

Die Songs auf „Greyscale“ haben ein Auge auf den Club und eines aufs Herz.

Camouflage lassen uns abwechselnd tanzen, weinen und im Nachdenken versinken. Die Single „Shine“ beginnt klein mit einem 808-Beat und schwingt sich über die Strecke von vier Minuten zu schwindelnder Höhe auf, mit Streichern, Chören und einer Gesangshook, die unironischer und ehrlicher nicht klingen könnte. Marcus Meyn beginnt mit den Zeilen:

„This is the story,
we should shout out loud,
tell everybody,
that noone lives without:
Shine Shine Shine
within your mind.“

Es gibt genug, woran es sich jeden Tag zu verzweifeln lohnt, trotzdem darf man die Fähigkeit, von innen heraus zu strahlen, nicht verlieren. Mehr Licht = mehr Lebensfreude, so einfach ist das!

Das höchst tanzbare „Misery“ besingt die reinigende Wirkung des Elends und die Schmerzen, die Liebe zufügt. „End Of Words“, textlich wie musikalisch das melancholische Herzstück, zeichnet die grauen Wolken nach, die wir in uns tragen, Bilder der Vergangenheit und Gegenwart, die uns belasten und sprachlos machen. Und wie um diese Aussage zu unterstreichen, schließt sich direkt daran das träumerische Instrumentalstück „Dark Grey“ an. „In The Cloud“ spricht von der Angst, inmitten von Arbeit, Terminen und Deadlines das ursprünglich für einen vorgesehene Leben zu verpassen.

Hier liegt eine der großen Qualitäten dieser Musik: Camouflage sind keine LaLa-Band, die ihre Existenz auf das Verfassen von Tanzkrachern und Liebesliedern gründet, sie berühren mit ihrer Musik und ihren Texten nicht weniger als die großen Fragen unserer Zeit.

Auch von Hoffnung ist die Rede. „Count On Me“ ist eine bedingungslose Liebeserklärung, hier teilt sich Marcus Meyn den Gesangspart mit Peter Heppner von Wolfsheim, gemeinsam singen sie:

„The truth will set me free,
I can always count on you,
as you can always count on me.“

Auch auf die Band Camouflage kann man sich verlassen. Sie ruhen nicht, sie leben nicht in der Erinnerung. Sie haben mit „Greyscale” ein wunderschönes, starkes Stück Musik für das Hier und Jetzt geschaffen, das von uns und unserem Leben handelt.

Tourdaten

19.03.2015 Konzert DE München Backstage Werk
20.03.2015 Konzert DE Stuttgart LKA
21.03.2015 Konzert DE Köln Live Music Hall
22.03.2015 Konzert DE Hannover Musikzentrum
24.03.2015 Konzert DE Aschaffenburg Colos-Saal
26.03.2015 Konzert DE Erfurt Stadtgarten
27.03.2015 Konzert DE Dresden Reithalle
28.03.2015 Konzert DE Berlin Kesselhaus (ausverkauft)
29.03.2015 Konzert DE Hamburg Docks
31.03.2015 Konzert DE Magdeburg Factory
17.04.2015 Konzert PL Warschau Progresja
18.04.2015 Konzert SK Bratislava Atelier Babylon
19.04.2015 Konzert CZ Prag Roxy